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Stress: Ursachen und Symptome der eigenen Stressreaktion erkennen

Jeder kennt ihn, und viele von uns wollen weniger davon haben. Es ist zugleich Modewort und Geißel unserer Zeit. Aber was genau passiert da eigentlich mit uns, wenn wir "im Stress sind"?

Aktualisiert am 19/09/2024 von Bettina Kapfer

Inhaltsverzeichnis

Was ist Stress überhaupt?

Definition von Stress

Wir alle haben ein intiuitives Verständnis für „Stress“. Wir wir sagen „Ich bin im Stress…“ dann meinen wir meistens einen unangenehmen Spannungszustand, von dem wir hoffen, dass er bald wieder verschwindet.

Denn so sind wir es gewohnt: Mal fühlen wir uns gestresst, und dann sind wir wieder entspannt und ruhig.

Also wenn man rein darauf abstellt, wie wir uns fühlen, dass könnte man hier schon aufhören zu reden. Und es dabei belassen, dass Stress nur ein unangenehmes Spannungsgefühl ist, das man einfach mal aushalten muss, bis es wieder besser wird.

Aber leider ist das was wir als Stress bezeichnen leider viel mehr. Es ist die evolutionär uralte Kampf- oder Fluchtreaktion.

Also eigentlich ist Stress die Alarmbereitschaft des Körpers. Um in potentiell lebensbedrohlichen Situationen alle Ressourcen zu mobilisieren.

Es werden alle Systeme hochgefahren, auf maximale Kapazität. Es geht ja schließlich um was…

Und mit diesem Bild von einem Körper, der sich selbst zu Höchstleistungen bereit macht, wird auch deutlich, dass wir uns dabei vom Optimalzustand weit entfernen.

So einen Alarmzustand hält das beste System der Welt nicht lange durch.

Wenn wir chronischen Stress haben, dann sind wir dauerhaft aus unserem Optimalzustand heraussen. Das Gleichgewicht zwischen An- und Entspannung ist dann gestört, und kann irgendwann mit den vorhandenen Ressourcen nicht mehr wiederhergestellt werden.

Wenn das Gleichgewicht gestört ist, dann ist das der Punkt, an dem Stress zu einer Gefahr für unsere körperliche und auch seelische Gesundheit wird.

Der Kampf um Gleichgewicht

Unser Gehirn als Steuerungszentrale ist immer darum bemüht, dass wir in den verschiedenen Bereichen (zB Temperatur, Puls, Blutdruck, Blutzucker, uvm…) im Optimum bleiben.

Alles in Balance…

Bereits 1929 hat Walter Bradford Cannon, ein US-amerikanischer Physiologe und Psychologe dafür den Begriff der „Homöostase“ geprägt.

Gemeint ist, dass unser Körper ständig enorme Leistungen erbringt, um auf die unterschiedlichen Einflüsse unserer Umgebung zu reagieren.

Und unser toller Körper kommt auch mit großen Strapazen klar. Diese dürfen auch mal länger dauern, und auch mal größer sein, als uns lieb ist („Krise“). Erst wenn die Belastungen dauerhaft zu viel sind, kann sich unser System nicht mehr selbst regulieren, und Krankheit ist die Folge. 

Stress als natürliche Reaktion auf Bedrohungen

Wir reden oft davon, dass in unserer heutigen Zeit der Stress allgegenwärtig ist, und wir immer mehr darunter leiden. Und natürlich haben Globalisierung und Digitalisierung unsere Umwelt für immer verändert.

Es ist echt nicht leicht, im Gleichgewicht zu bleiben. 🙄

Und trotzdem ist das, was wir heute als Stress bezeichnen eine körperliche Reaktion, die auch schon unsere Steinzeit-Vorfahren kannten.

Unsere Urahn*innen waren ja tagtäglich mit lebensbedrohlichen Situationen konfrontiert. Nur mit einem wirklich ausgezeichneten Alarmsystem konnten sie ihr eigenes Überleben – und jenes ihrer Nachfahren sichern.

Binnen Millisekunden mussten sie damals entscheiden, ob sie einen Kampf gewinnen könnten, oder ob sie besser die Flucht nach hinten antreten.

Diese Systeme waren nicht nur ein bisschen erfolgreich. Sondern sie waren so erfolgreich, dass unsere Körper auch heute noch genau nach den selben Prinzipien funktionieren.

Wir bezeichnen es nur heute meistens nicht mehr als „Flucht- oder Kampfreaktion“. Wir sagen: „Ich bin im Stress“.

Auf körperlicher Ebene passiert aber immer das selbe, egal wie wir es nennen.

Aber was passiert denn da jetzt eigentlich genau?

Säbelzahntiger

Was ist die Kampf-oder-Flucht-Reaktion?

Die Kampf-oder-Flucht-Reaktion („fight or flight response“)  ist ein anderer Name für die körperliche Stressreaktion von Tieren und Menschen auf potentielle Bedrohungen.

Es handelt sich um einen uralten Mechanismus zur Bewältigung von Gefahren, der unser Handeln so steuert, dass wir maximale Überlebenschancen haben.

Die körperlichen Anzeichen dafür, dass unser Körper sich auf Kampf oder Flucht (oder Erstarren) vorbereitet, bezeichnen wir heute als „Stress“. 

In einer Welt, in der man tagtäglich befürchten muss, gefressen zu werden, zahlt es sich aus, ein gutes Alarmsystem zu entwickeln.

Und darum entspricht die Reaktion unseres Körpers auf Stress in unserer modernen Welt heute immer noch genau der Reaktion unserer Vorfahren, wenn sie einen Säbelzahntiger gesichtet haben.

Das klingt ein bisschen komisch, weil das ist ja nun schon viele tausende Jahre her.

Aber ganz nach Charles Darwin hat sich hier ein enorm wichtiges System zur Sicherung unseres Überlebens durchgesetzt und weitervererbt. Das ist auch heute noch unser Erbe, mit dem wir uns, vor unseren Computern und in unseren Autos sitzend, herumschlagen müssen. 

Warum haben wir eine Kampf-oder-Flucht-Reaktion?

Bleiben wir beim Steinzeitmenschen, der um sein Leben fürchtet, wenn er ein Knacksen im Gebüsch hört. Das könnte ein Hinweis sein, dass da eine Gefahr lauert. Sobald er dieses Knackgeräusch hört, wird er ganz besonders gut aufpassen, ob er noch andere Indizien für eine Gefahr entdeckt.

Ein Überbleibsel davon ist das, was wir heute als „Negativitätsverzerrung“ bezeichnen. Nämlich, dass wir uns stärker auf negative Dinge in unserem Leben konzentrieren und diese stärker wahrnehmen und länger erinnern. Danke Evolution.

Wieder so ein super Mechanismus, der uns früher das Leben gerettet hat. Und es heute ein bisschen mühsamer macht, weil wir eh nicht mehr ständig um unser Überleben kämpfen müssen.

Aber zurück zur Stressreaktion. Unser Steinzeitmensch ist sich jetzt sicher: da ist etwas im Gebüsch. Alle Hinweise deuten auf einen hungrigen Säbelzahntiger hin. Was machen? Eine lange Pro und Kontra Liste schreiben, ob es sich auszahlt, zu kämpfen – oder ob doch weglaufen besser wäre,….da wäre unser Steini schon längst gefressen.

Vielmehr hat der schlaue Körper von Steini bereits beim ersten Knacken begonnen, den Körper in Alarmbereitschaft zu versetzen. Im Hintergrund läuft das Stressprogramm ab: Einschätzung der Bedrohung und gleichzeitig eine Einschätzung der Ressourcen, die zur Verfügung stehen.

Und dann wir Bilanz gezogen:

  • Bin ich stark genug, um mich zu verteidigen? Dann Kampf
  • Bin ich schnell genug, um wegzulaufen? Dann Flucht
  • Wenn ich keine Chance habe, dann will ich zumindest nicht bei Bewusstsein sein, wenn ich gefressen werde: Erstarren

 

Die körperlichen Veränderungen, die mit dieser Vorbereitung verbunden sind – und natürlich dann auch während Kampf, Flucht oder Erstarren, bezeichnen wir heute als Stresssymptome.

Stress und Stressreaktion

Was sind typische Symptome bei Stress?

Die typischen Symptome von Stress äußern sich körperlich und psychisch, aber auch auf Ebene des Verhaltens.

Akute Stresssymptome spüren wir als beschleunigte Atmung und Herzschlag, vermehrtes Schwitzen, Hemmung der Verdauungstätigkeit, Verringerung des sexuellen Verlangens, sowie kurzfristig erhöhter Schmerztoleranz und gestärkte Immunabwehr.

Hastiges Verhalten, innere Unruhe und kreisende Gedanken sind weitere Symptome bei Stress.   

Falls du mit Grübeln und kreisenden Gedanken zu kämpfen haben, findest du im Blogartikel zu Gedankenkreisen 3 einfache Methoden, die du ausprobieren kannst, um deine Gedanken zu beruhigen.

Die Stressreaktion, die wir eben in Form von Stresssymptomen merken, ist ein komplexes Zusammenspiel zwischen unserem Nervensystem und dem Hormonsystem (und auch Neurotransmittern).

Man kann sich das so vorstellen, dass in einer potentiell bedrohlichen Situation unser Gehirn Botenstoffe in den gesamten Körper schickt, um ihn auf Kampf oder Flucht vorzubereiten.

Die Befehle lauten in etwa:

  • „Gehirn muss besser durchblutet werden“,
  • „Atem beschleunigen, damit mehr Sauerstoff zur Verfügung steht“,
  • „Schwitzen, damit wir glitschig und unappetitlich werden“,
  • „Muskelspannung erhöhen, vor allem im fürs Überleben besonders wichtigen Genick“,
  • „Verdauung und Sexualtrieb einstellen, weil für solchen Luxus haben wir jetzt wirklich keine Zeit“,
  • „kurzfristig die Schmerzgrenze und das Immunsystem hochfahren – das hat jetzt Priorität, wir werden das brauchen“.

 

Diese Botschaften werden vom Gehirn aus in den ganzen Körper verteilt, damit auch wirklich alle Körperteile Bescheid wissen. Es soll sichergestellt werden, dass wir uns im Ernstfall wehren können, und nach Möglichkeit nicht gefressen werden.

Im Blogartikel „Keine Lust auf Sex – Wie Stress die Libido beeinträchtigt“ erfährst du mehr dazu, wie sich Stress auch auf deine Sexualität auswirken kann.

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Ursachen für Stress - typische Stressoren

Für alle, die jetzt einwenden: „Aber es gibt ja schon lange keine Säbelzahntiger mehr, und in meinem Alltag gibt es so gut wie keine lebensgefährlichen Situationen…“. Da kann man nur antworten, dass das wohl stimmt.

Aber heute wie damals ist unser Gehirn permanent damit beschäftigt, unsere Umgebung zu scannen und zu schauen, ob sich nicht vielleicht irgendwo eine Gefahr versteckt.

Und wenn es da eine Klitzekleinigkeit gibt, die uns eventuell gefährlich werden könnte, checkt unsere Steuerungszentrale sofort, ob wir gut genug aufgestellt sind, damit umzugehen. Weil die prioritäre Aufgabe des Gehirns ist, unser Überleben zu sichern.

Und dabei möchte unser Hirn aber auch noch möglichst Energie sparen. Das heißt, dass wir nicht für jede Bedrohung ein eigenes System entwickeln. Sondern, es wird das System verwendet, was da ist und was schon so viele Jahrtausende hervorragend funktioniert hat.

Also wird das „Säbelzahntiger-Kampf-oder-Flucht-System“ auch aktiv, wenn wir riskant überholt werden, ein Kind schreit, der Computer plötzlich keine Bluetooth-Verbindung zu anderen Geräten mehr herstellen kann, oder unsere Chefin um ein Gespräch bittet.

Typische Stressfaktoren, auch „Stressoren“ genannt sind körperliche Einwirkungen wie Verletzungen und Schmerzen oder Entzug von Nahrungsmitteln. Physikalische Stressoren sind Lärmeinwirkung, Hitze und Kälte, oder Nässe. Psychischer Stress entsteht durch Gefährdung von wichtigen psychischen Bedürfnissen, wie zB Anerkennung, Sicherheit, Selbstverwirklichung oder Verbindung zu anderen Menschen. Weiters sind auch chemische Stressfaktoren denkbar, wie beispielsweise Umweltverschmutzung oder Vergiftungen.

Ob ein Sachverhalt auch tatsächlich von der Person als Stress empfunden wird, hängt in der Regel von folgenden Elementen ab (vgl. Kaluza, Stressbewältigung):

  • Wie lange dauert es?
  • Wie intensiv ist es?
  • Kann ich es kontrollieren?
  • War es vorhersehbar, konnte ich mich darauf vorbereiten?
  • Wie eindeutig ist es, weiß ich über alle relevanten Punkte Bescheid?
  • Welche persönliche Bedeutung hat es für mich?

 

Kritische Lebensereignisse, Arbeitsbelastungen und auch Alltagsbelastungen spielen – das liegt glaube ich ohnehin auf der Hand – eine große Rolle in unserem Stressempfinden.

Empfindet jede*r Stress auf dieselbe Art und Weise?

Nein, nicht jede*r empfindet Stress auf die selbe Art und Weise, sondern die Stressreaktion ist höchst individuell.

Was bei der einen Person eine massive Stressreaktion hervorruft, bringt eine andere Person noch nicht mal ein bisschen zum Schwitzen.

Der Ski-Weltcup ist für diese Saison zwar schon beendet, aber Sie haben vielleicht noch die tollen Bilder von den Pisten bei kitschig blauem Kaiserwetter-Himmel vor Augen.

Die Streif in Kitzbühel ist für den Österreich-Tourismus ein absolutes Aushängeschild, und unsere Ski-Asse bewältigen diese irre Abfahrt jedes Jahr wieder in einem halsbrecherischem Tempo.

Ich kann Ihnen ganz genau sagen, wann ich beim Blick auf die Streif Stress verspüre: Wenn ich nur daran denke, dass irgendjemand auf die Idee kommen könnte, mich dort hinunter zu schicken. Und das obwohl ich bisher nur einmal, im Sommer vor vielen Jahren, vom Ziel auf die Strecke hinauf geschaut habe. Herzklopfen, beschleunigte Atmung und ein aufgeregtes Gefühl spüre ich beim Gedanken, da runter zu müssen.

Und das klingt jetzt vermutlich komisch, ABER: Auch die großen Skistars werden ähnliches spüren, wenn sie am Start stehen, und sich auf ihren Einsatz vorbereiten. Denn es steht ihnen ja eine große Aufgabe bevor, und die Abwägung von ihrer Steuerungszentrale hat – hoffentlich – ergeben, dass es gut wäre, wenn das Herz schneller schlagen würde, damit die Gliedmaßen für die sportlichen Meisterleistungen gut mit Blut versorgt werden. Die Sauerstoffversorgung ist essentiell, also rauf mit der Atemfrequenz. Und ich traue mich zu wetten, dass bei einem Weltcuprennen auch ein aufgeregtes Gefühl vorhanden sein wird.

Also in dem Beispiel geht es zweimal um sehr ähnliche körperliche Symptome. Und zugleich werden Sie mir vermutlich zustimmen, dass es sich um unterschiedliche Reaktionen handelt. In meinem Fall um eine sehr sinnvolle Warnfunktion, die mir zu Flucht rät und damit mein Überleben in Kitzbühel sichert.

Und im Fall von Skiassen stellt der Körper in Vorbereitung auf den Wett-„Kampf“ all das bereit, was dazu notwendig ist. Dessen Bewertung hat ergeben „Ich schaffe das“, und darum wird in diesem Fall die Kampfreaktion nicht als negativ, beschwerlich empfunden. Der dadurch entstehende Fokus wird ausgenutzt, um die Situation bestmöglich zu meistern.

Man kann sich kaum vorstellen, was passieren würde, wenn ein*e Sportler*in so tiefenentspannt wie beim Fernsehen auf der Couch wäre, beim Renneinsatz. Das würde wohl nicht gut gehen. Also auch dafür ist ein bisschen Stress und Aufregung gut.

Und darum wird Stress auch in den guten „Eustress“ und den schlechten „Distress“ unterteilt.

Wenn wir in der Arbeit ganz in einer Tätigkeit aufgehen, und die Zeit rund um uns vergessen, dann nennen wir das zwar nicht Eustress, sondern dafür wurde der Begriff „Flow“ oder auch „Flow-Gefühl“ geprägt. Mehr dazu gibt es im Blogartikel über Flow im Job zu lesen.

Zwischenfazit zur Stressreaktion

Man kann sagen:

  • Die körperliche Stressreaktion ist dem Grunde nach etwas sehr Positives, das uns dabei hilft, Situation gut zu bewältigen
  • Selbst wenn die selben körperlichen Symptome vorhanden sind, kann es sich bei einem Menschen um eine unangenehme Empfindung handeln, während eine andere Person dies als wertvolle Unterstützung zur Bewältigung empfindet
  • Stress entsteht im Kopf, durch die Bewertungen die wir der Situation geben (unterm Strich: „das schaffe ich“ oder „unmöglich zu schaffen“)
  • Wir verwenden den Begriff „Stress“ heute vorwiegend im negativen Sinn, vergessen aber, dass wir ein höheres Anspannungsniveau auch zu unserem Vorteil nutzen können: „Eustress“

Weiterlesen: Strategien zur Stressbewältigung

Methoden und Strategien zur Stressbewältigung werden in der Psychologie dafür eingesetzt, um stressbedingte Belastungen auf die Gesundheit von Menschen zu vermeiden, oder zu reduzieren.

Es handelt sich dabei einerseits um individuelle Stressbewältigungsstrategien, also dem was jede*r selbst tun kann. Andererseits versuchen die Methoden zur Stressbewältigung auch, Veränderung bei externen Faktoren zu bewirken, beispielsweise in Organisation oder bei Entscheidungsträger*innen

Mehr dazu gibt’s im Blogartikel über Stressbewätigungsstrategien.

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