Aktualisiert am 14/11/2022 von Bettina Kapfer
Inhaltsverzeichnis
Warnsignal für Stress: Sich darüber freuen, wenn Verabredungen abgesagt werden
Vor einiger Zeit habe ich ein Buch über Stressmanagement gelesen, und bin plötzlich über eine Passage gestolpert, die mich richtig zum Nachdenken gebracht hat. Und ich würde jetzt auch gerne das Buch zitieren, aber ich habe in letzter Zeit viele Bücher zu dem Thema gelesen, und ich konnte es nicht mehr rekonstruieren, welchem wunderbaren Menschen ich diese Erkenntnis zu verdanken habe.
Und zwar wurde beschrieben, dass es ein sehr deutliches Warnzeichen für zu viel Stress im Leben ist, wenn man sich darüber freut, dass andere Verabredungen absagen.
Das hat mir zu denken gegeben, weil ich mich ein bisschen ertappt gefühlt habe. Es ist nämlich möglich, dass ich das früher öfters auch hatte.
Das ist problematisch, weil nicht gemeint ist, dass ein mühsames Pflichtevent gecancelled wird. Oder zu einem Freund*innentreffen die eine nervige Person nicht erscheint, die man ohnehin nicht so besonders gerne mag.
Beim Ausmachen hat man sich sehr darauf gefreut
Es geht viel mehr darum, dass es eigentlich ein Treffen wäre, auf das man sich – zumindestens beim Ausmachen – gefreut hat. Also mit lieben Menschen, die man gerne trifft. Für Aktivitäten, die Freude bereiten, und die wir gerne machen.
Und vielleicht hat sich am Tag zuvor, oder am Morgen der Verabredung schon so ein bisschen das Gefühl eingeschlichen: Hmmm das steht ja auch noch im Kalender….
Und selbst hätte man es auch nicht abgesagt
Aber weil es ja ein Termin ist, auf den man sich eigentlich gefreut hat, kommt Absagen nicht in Frage. Und außerdem hat man ja nichts anderes geplant, es gibt also keinen guten Grund, um das Treffen sausen zu lassen. Aber eigentlich wäre ein Abend auf der Couch auch ganz gemütlich…

Und trotzdem freut man sich insgeheim über die Absage
Aber dann – dann meldet sich unsere Verabredung und hat gute Gründe für die Absage. Und dann ist man natürlich ein bisschen traurig, weil man hätte sich ja schon gefreut. Aber dann ist da auch noch dieses Misch-Gefühl. Erleichterung und Freude und Schuldgefühlen, weil man sich freut. Endlich mal Zeit zuhause. Endlich Zeit für mich. Endlich Zeit für….
Stress-Warnsignale ernst nehmen
Was ich Ihnen mitgeben möchte, ist, dass es völlig ok ist, wenn Sie sich erleichtert fühlen, wenn Sie sich darüber freuen, dass ein voller Terminkalender plötzlich etwas Luft bekommt. Ich kenne niemanden, bei dem das nicht von Zeit zu Zeit so ist.
Aber wenn das öfters vorkommt, und Sie eigentlich schon beim bloßen Anblick Ihres Terminkalenders einen Schweißausbruch bekommen, dann Achtung. Und wenn Sie sich freuen, dass Sachen abgesagt werden, auf die Sie sich eigentlich ursprünglich gefreut haben – dann doppelt Achtung, das ist schon ein deutliches Zeichen.
Dafür, dass zu viel los ist. Dass der Stress gerade zu viel ist. Und Sie besser eine Pause einlegen sollten. Mehr dazu lesen Sie im Blogartikel über die Ursachen und Auswirkungen von Stress.

Darauf hören, was gut tun würde
Ein Appell, den ich in solchen Situationen meinen Coachees und auch in meinen Trainings gerne mitgebe ist, dass wir Warnsignale nicht bekämpfen sollten. Sondern, dass wir Sie als das nehmen sollten, was Sie sind: Signale (unseres Körpers) dafür, dass wir unerfüllte Bedürfnisse haben. Zum Beispiel, das Bedürfnis nach Ruhe. Oder nach Qualitytime (mit uns selbst).
ABER
Und das ist ein großes ABER. Das bedeutet nicht, dass es gut wäre, sämtliche Verabredungen und Treffen mit Freund*innen oder Familie zu stornieren und sich in eine Einsiedler*innen-Hütte zu verkriechen. Weil:
Wir sind soziale Wesen und profitieren vom Kontakt zu anderen

Familie, Freunde, soziale Kontakte, soziales Netzwert oder zwischenmenschliche Beziehungen. Egal, wie man es auch bezeichnet…wir sind soziale Wesen, und brauchen die Kontakte zu anderen.
Das hat uns nicht zuletzt die Pandemie gelehrt, dass „social distancing“ uns nicht leichtfällt (kein Kommentar zu der psychologisch schlecht gewählten Betitelung von dem, was eigentlich „physical distancing“ heißen sollte).
Soziale Beziehungen als Ressourcen für unsere Zufriedenheit
Wir alle spüren intuitiv, dass wir soziale Wesen sind und den Kontakt zu anderen Menschen für unser Wohlbefinden brauchen. Und Psycholog*innen konnten das dann auch nachweisen, dass soziale Unterstützung die allgemeine Gesundheit fördern und auch Belastungen reduzieren kann (Park, Wilson & Lee, 2004).
Positiven Wirkungen von sozialer Unterstützung
Die Einbettung in soziale Netzwerke und damit verbunden das Vorhandensein von potentieller Unterstützung bewirkt nämlich, dass
- Gesundheitsförderliches Verhalten bestärkt wird
- Das Selbstwertgefühl steigt
- Eine Situation als weniger stressig beurteilt wird, weil Unterstützung vorhanden ist
- In einer Stresssituation weniger Stresshormone ausgeschüttet werden
- In belastenden Situationen weniger negative Gefühle wie zB Angst, Ärger oder Trauer auftreten
Zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen, zahlt sich aus

Zusammengefasst sind sozial integrierte Menschen, die aus ihrem sozialen Umfeld Unterstützung bekommen (können) zufriedener, gesünder und haben eine höhere Lebenserwartung.
Darum zahlt es sich aus, Zeit und Energie darin zu investieren, Beziehungen zu anderen aufzubauen, und soziale Kontakte auch weiterhin zu pflegen. Ein intaktes soziales Netzwerk mit Familie und Freund*innen bringt vielfältige Unterstützung mit sich, ganz abgesehen von der Freude die das Zusammensein mit lieben Menschen bereitet.
Forschungsergebnisse zeigen: Besonders wertvoll ist es, wenn nicht wertende soziale Unterstützung vorhanden ist. Das hat positive Effekte auf das Herz-Kreislauf-System, auf das Stresssystem unseres Körpers und last but not least auch auf unser Immunsystem.
Dabei ist es nicht so wichtig, wie oft Sie sich mit Menschen aus Ihrem sozialen Netzwerk treffen oder wie oft diese Sie tatsächlich unterstützen. Es kommt viel eher auf Ihre eigene Einschätzung an, wie Sie diese potentiell verfügbare Unterstützungsleistung beurteilen würden. Ein bisschen nach dem Motto „Da ist jemand, der mir helfen könnte und würde, wenn ich es bräuchte.“
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Biologische Grundlage von zwischenmenschlicher Bindung
Wie gesagt, ich glaube, die meisten von uns spüren intuitiv, dass wir soziale Wesen sind, und Beziehungen und Kontakte mit anderen Menschen wichtig für unser Wohlbefinden sind.
Aber Forscher*innen waren natürlich auch neugierig auf die biologischen Grundlagen von zwischenmenschlicher Bindung, und sind auf ein spannendes Hormon namens „Oxytocin“ gestoßen.
Soziale Kontakte und Oxytocin

Sie haben vielleicht schon vom „Kuschelhormon“ Oxytocin gehört, das bei der Geburt eine Rolle spielt, aber auch zur Bindung in romantischen Partnerschaften beiträgt (wird beim Orgasmus ausgeschüttet). Es spielt aber auch bei sonstigen sozialen Beziehungen, zum Beispiel in Freundschaften eine Rolle, und wird beispielsweise auch bei Umarmungen, Berührungen oder positiven sozialen Interaktionen ausgeschüttet.
Oxytocin reduziert Stresshormone
Und jetzt sind wir bei einem ganz wichtigen Punkt angelangt. Nämlich warum es wichtig ist, dass wir im Stress nicht unsere sozialen Kontakte reduzieren, sondern unsere zwischenmenschlichen Beziehungen pflegen.
Nicht nur, weil uns möglicherweise die Unterstützung von Freund*innen und Familie in schwierigen Situationen helfen könnte. Sondern auch, weil – und das wissen wir ja auch eigentlich alle – richtig gut tut, wenn wir herzhaft miteinander lachen, und eine gute Zeit miteinander verbringen.
Und im Hintergrund wird bei freudvollen Aktivitäten mit lieben Menschen auch fleißig Oxytocin ausgeschüttet.
Oxytocin in unserer Blutbahn bewirkt nicht nur ein Wohlgefühl und Gefühl der Verbundenheit mit anderen (das ist eines unsere Grundbedürfnisse!). Sondern gleichzeitig wird auch das Stresshormon Cortisol reduziert. Das wiederum hat eine beruhigende und auch angstlösende Wirkung auf uns.
Oxytocin und Umarmungen

Einen Fun Fact möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, auch wenn er sich hauptsächlich an Frauen richtet. Denn bislang konnten nur Zusammenhänge für Frauen gefunden werden. Die sind dafür aber umso schöner:
Einerseits konnte ein positiver Zusammenhang zwischen der Anzahl von Umarmungen und der Höhe des Oxytocinspiegels gefunden werden. Und dann konnte auch noch gezeigt werden, dass je höher der Oxytocinspiegel, desto niedriger war der Blutdruck bei Frauen.
Na wenn das mal kein Grund für herzliche Umarmungen unter Freundinnen ist 😉 Ich für meinen Teil habe mir ja ohnehin vorgenommen, alle Umarmungen nachzuholen, die mir 2020 entgangen sind. Work in progress…
PERMA-Modell, Beziehungen und Lebenszufriedenheit
Wenn wir von Wohlbefinden und Glück sprechen, dann geht das nicht, ohne auch das PERMA-Modell der Positiven Psychologie von Martin Seligman zu erwähnen.
Das PERMA-Modell beschreibt die fünf Glücksfaktoren, die wir selbst beeinflussen können, um ein glückliches und zufriedenes Leben zu führen. Einen Überblick des PERMA-Modells finden Sie im entsprechenden Blogartikel.
Nachdem es in diesem Artikel um die Wichtigkeit von sozialen Beziehungen geht, widmen wir uns jetzt näher einem der Glücksfaktoren: „R wie Relationships“ (Beziehungen).
Der Mitbegründer der Positiven Psychologie, Christoph Petersen, weist den Beziehungen zu anderen sogar die höchste Priorität zu. Er wurde gebeten, Positive Psychologie in wenigen Worten zu beschreiben. Seine Antwort:
„Other People“ – andere Menschen.
Kindness-Übung der Positiven Psychologie
Glücklicherweise hat sich die Positive Psychologie auch ganz praktisch damit beschäftigt, WIE wir die einzelnen Bereich unseres Lebens ein kleines bisschen besser gestalten können. Mit dem Ziel, aufzublühen („flourish“).
Und deshalb möchte ich Ihnen jetzt eine Übung der Positiven Psychologie vorstellen, die Sie nutzen können, um Ihre zwischenmenschlichen Kontakte zu stärken. Aber keine Sorge, diese Übung ist etwas Kleines. Etwas, das Sie ganz einfach ohne großen Aufwand ausprobieren können, ohne Stress. Dafür aber mit großer Wirkung für Ihr Wohlbefinden und Ihre soziale Verbundenheit.
Geschichte der Kindness-Übung

Martin Seligman beschreibt im Buch „Flourish – A visionary new understanding of happiness and well-being” eine wundervolle Geschichte, die für ihn eine der befriedigendsten seines Lebens war:
Zur Begeisterung aller hatte die Post wieder einmal die Preise für Marken um einen Cent erhöht. Mießmutig stellte sich Martin Seligman deshalb in einer ewig langen Schlange an, um eine Dreiviertelstunde später endlich beim Kassenschalter zu landen. Und er beschloss, nicht nur einige 1-Cent-Marken für sich zu kaufen, sondern er kaufte gleich mehrere Bögen für je 10 USD.
Und hier könnte die Geschichte in verschiedene Richtungen abbiegen. In einer Erzählung über smarte Business-Männer würde es jetzt vermutlich so weitergehen, dass der schlaue Geschäftsmann die Gelegenheit nutzt, und die Marken mit einem kleinen Aufpreis an die genervten Wartenden in der ewig langen Schlange weiterverkauft.
Aber nein, es ist hier eine Geschichte der Positiven Psychologie, und das Einzige, was hier vergrößert werden soll, ist das persönliche Glück und die Zufriedenheit im Leben.
Darum geht die Geschichte auch so aus, dass sich Martin Seligman entscheidet, die 1-Cent-Marken an die Menschen in der Schlange hinter sich zu verschenken. Und binnen Minuten löst sich die Warteschlange auf. Mit dieser Aktion hat er nicht nur viele Menschen sehr glücklich gemacht. Darüber hinaus hat das Verschenken auch für ihn bewirkt, dass er sich nicht mehr grantig vom langen Warten war, sondern dass er glücklich war, weil er andere Menschen glücklich gemacht hat. Ein kleiner Akt der Liebenswürdigkeit („Random Act of Kindness“).
Ideen für Ihren Act of Kindness
Hier ein paar Ideen, wie Sie vielleicht anderen eine Freude machen können – und das muss keinesfalls ein (Geld-)Geschenk sein:
- Im Supermarkt jemanden in der Kassenschlange vorlassen
- Einer fremden Person ein nettes Kompliment machen
- Einen anderen Menschen im Vorbeigehen freundlich anlächeln
- Einer Freundin spontan Blumen mitbringen
- Der Kolleg*in, die keine Zeit für eine Kaffeepause hatte, einfach mal einen Kaffee mitbringen
- Ein Post-it am Schreibtisch mit einer netten Nachricht/Feedback/Wertschätzung hinterlassen
Vielleicht fällt Ihnen auch etwas ein, worüber Sie sich bei einer Gelegenheit sehr gefreut haben? Und finden eine Möglichkeit, das an andere Menschen „weiterzugeben“?
Damit es nicht in Vergessenheit gerät: Suchen Sie sich eine kleine Sache aus, die Sie spätestens am nächsten Tag ganz einfach machen können. Schreiben Sie Ihr Vorhaben auch gerne auf, und platzieren Sie den Zettel an einem Ort, an dem Sie zuverlässig daran erinnert werden.
Möglicherweise fällt Ihnen auf, dass Sie ohnehin schon viele kleine Gelegenheiten nutzen, um Liebenswürdigkeiten zu verteilen. Dann lade ich Sie dazu ein, danach einmal bewusst hinzuspüren, wie Sie sich danach besser fühlen. Wo im Körper können Sie spüren, dass diese Kleinigkeit auch auf Sie selbst positiv zurück wirkt?
Die wissenschaftliche Sicht darauf: Studien haben gezeigt, dass von allen Übungen der Positiven Psychologie die Kindness-Exercice den zuverlässigsten Anstieg des gegenwärtigen Wohlbefindens bewirkt.
Viel Spaß beim Ausprobieren dieser Mini-Übung der Positiven Psychologie und beim Wirken-lassen!
Und falls Sie sich ins PERMA-Modell der Positiven Psychologie von Martin Seligman vertiefen wollen, finden Sie weitere Informationen und Übungen im PERMA-Überblicksartikel und auch im Blogartikel über die Wichtigkeit von Positiven Emotionen („P“) sowie im Blogartikel dazu, wie Sie mit Engagement („E“) zu mehr Flow und intrinsischer Motivation finden.