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Gastartikel von Eva Karel: Alles wird gut, Oida!

Eva Karel Alles wird gut, Oida
Gastartikel von Eva Karel: Alles wird gut, Oida!

Aktualisiert am 30/04/2025 von Bettina Kapfer

Alles wird gut, Oida [1]!

Dass wir alle mit den Knien schlottern, ist kein Wunder. Doch Eva Karel meint: Die Angst kann sich brausen gehen. Mit klugen Kleinigkeiten statt Masterplan entwischen wir der Problemtrance, sortieren uns mit Hilfe von Viktor Frankl, schlagen Wurzeln im eigenen Körper. Wir legen uns faktenbasierte Zuversicht zu, rehabilitieren unseren Humor und nehmen schreibend immer wieder die Fährte zu uns selbst auf.

Doch von vorn:

Zeitverdichtung

Erratisch kontrolliere ich unterwegs diverse Inboxen, eile mit wichtiger Miene durch meine Tage und fühle mich allein schon aufgrund meines Stresses als halbwegs respektables Mitglied der Gesellschaft. – Stress als Statussymbol, bist du deppert[2].

Rund um mich kippeln Leute überm Abgrund, kämpfen mit depressiven Verstimmungen und bleierner Erschöpfung. Ich behaupte: Das liegt nicht an persönlichem Versagen, sondern am Zeitgeist und den Strukturen, die uns umgeben. Die Digitalisierung bringt eine Zeitverdichtung mit sich, in der uns jegliches Tachinieren abhandenzukommen scheint. Statt Selbstwirksamkeit entsteht oft Überreizung. Also was tun? Wie kann ich dem Tempo Sand ins Getriebe streuen, um mich selbst wieder beim Existieren zu bemerken?

Zwar bin ich tendenziell ein tapferes Schneiderlein, doch dann kam Corona: Informationsoverload plus Homeschooling als Alleinerziehende und Selbständige, Lagerkoller, Klimakatastrophe, Kriege – ganz abgesehen von meiner finanziellen Unsicherheit und elf angefutterten Kilos. Irgendwann drehte ich regelmäßig den Dunstabzug auf, damit mich die Kinder nicht weinen hörten. Selbst mein Humor fühlte sich deplatziert an. Also stellte ich mir die Frage: Was kann ich selbst beitragen, um psychisch stabiler zu werden?

Grausige, aber wirksame Erkenntnisse säumten daraufhin meinen Weg: kalt duschen, Bücher von Viktor Frankl lesen und mir damit eine robuste und herzliche innere Haltung zulegen, meinen geschätzten Kadaver bewegen, weniger Bildschirm, mehr Schlaf, gute Sachen essen, immer mal wieder ein bisschen handwerkeln. Das funktioniert tatsächlich – leider. Dabei war es mir früher viel glamouröser erschienen, Rotwein trinkend bei einem Packerl Tschick im Café Berfin über meine Tristesse zu philosophieren. Erwachsensein ist schon zach.


Mehr herumkörpern als hirnen

„Eva, wir drehen jetzt das Kastl ab und drehen eine Runde mit dem Hund.“, informiere ich mich also mit dem Brustton der Überzeugung, woraufhin eine meiner inneren Arschgeigen raunzt und mit vollem Körpereinsatz die völlig unterschätzten Vorzüge von Lethargie und Phlegmatismus zu predigen beginnt.

Ich beeile mich und richte mein Augenmerk tunlichst nicht auf diese Maulerei, sondern versuche, hurtigst das Richtige zu tun. Voraussetzung dafür ist ein Verstehen der Mechanismen: Die einzelnen Stimmen meiner inneren Sinfonie sind nicht alle zur selben Zeit gleich wichtig sind und ich entscheide wie eine Dirigentin verflixt nochmal, wem ich zuhöre.

Viktor Frankl nannte diese Wahlmöglichkeit die Trotzmacht des Geistes und verkündete, man müsse sich schließlich von sich selbst nicht alles gefallen lassen. Ich kann mich folglich zu einer Portion Besonnenheit durchringen, in der Gewissheit, dass in mir verdammt nochmal auch eine weisere Ebene schlummert. Da ist Bewusstsein, das wahrnimmt, dass ich denke, fühle, erlebe – hinter allem Aufruhr.

Diese Unterscheidung zählt zu den nützlichsten Infos, die ich über das Menschsein jemals bekommen habe, denn sie bedeutet, dass da ein Leo in mir ist – so nannten wir als Kinder den Verschnaufsort, wo wir beim Fangenspielen nicht erwischt werden konnten. „Neeeiheiin, du kannst mich nicht fangen, ich bin grad im Leo!“

All das funktioniert übrigens mit Humor und Herzlichkeit bestens, Disziplin kann sich vergleichsweise brausen gehen. Damit improvisiere ich voran und übe, meine ängstlichen Anteile freundlich unter die Fittiche zu nehmen, auf dass ich im Dschungel des Leistungs- und Konsumlabyrinths nicht deppert werden möge.

Die Welt ist nämlich auch sehr schön und voller Potenziale und Ressourcen, wir bemerken das allerdings selten, wenn wir mit Fürchten und Beeilen beschäftigt sind.

Zuversicht aber stiftet zur Tat an und ehe wir uns versehen, agieren wir mit blitzenden Augen in die Welt hinein, statt von Ohnmachtsgefühlen geplättet unser Dasein in der Unterhose vor Bildschirmen zu fristen. Ich gehe also mit dem Hund raus, erwische in der Schumanngasse die ersten Sonnenstrahlen und blinzle grantig. Kurz vor der Bowlinghalle hebe ich meinen Blick Richtung Horizont und als ich bei dem kleinen Wiesenstück entlang der Gersthoferstraße ankomme, durch das ich immer Richtung Nöstlingerpark marschiere, geht das Atmen irgendwie schon leichter.

Ich nehme den Fokus von meinem Hirn und merke: Da hängt ein Körper an meinem Kopf dran, mein höchstpersönliches Sensorium. Ich marschiere vor mich hin und finde aus meinem Tunnelblick heraus, bemerke, wie die Luft meine Haut berührt, wie die Erde nach dem nächtlichen Regenguss riecht.


Schneisen fräsen

Um meine Sinne nicht dauerhaft zu überreizen, schränke ich mich gelegentlich bewusst ein. Ohne Rahmen verliere ich leicht den Faden zu mir, hudle[3] herum oder vertilge trotzig ein bis zwei Kekspackungen. Es ist echt keine Freiheit, der eigenen Maßlosigkeit ausgeliefert zu sein… Also her mit zeitweiliger Struktur, mit Erleichterung durch Verzicht. Pausen vom Überfluss klären meinen Blick.

Dabei halte ich mich grundsätzlich von gar nichts fern, immerhin will ich mich keineswegs ständig wehren. Meine artgerechte Haltung muss Vanillekipferl und Schokomousse beinhalten, um mich langfristig zu tragen. Ich fräse mir einfach regelmäßig Schneisen frei und verzupfe mich damit auf Inseln, ohne wegzufahren: Manchmal Bildschirmkarenz, hin und wieder fasten, zwischendurch wie eine Pensionistin am Yogaretreat den Tagesablauf dahinplätschern lassen, und dann wieder eine volle Ladung Leben.

Damit habe ich Landeplätze, wo ich zwischendurch ausruhen und mich besinnen kann. Danach kann ich die Zügel lockerlassen und mich dem Schlendrian hingeben, weil meine Sinne wieder geschärft sind und ich mich dadurch automatisch artgerechter halte.


Eva Karel hat zu all den Themen ein Buch geschrieben: „Alles wird gut, Oida! Nicht deppert werden in wilden Zeiten“ erscheint am 30. April im Verlag punktgenau.

Eva Karel

Fotocredit: Karin Hackl

Gutes Timing angesichts der globalen Lage! Ein Anti-Resignationsbuch hat sie uns da geschrieben- aus Notwehr, wohlgemerkt. Sie lehrt akademisches Schreiben an der Universität Wien, verfasst Bücher, bildet Yogalehrende aus und ist der Ansicht, Humor sei eine Kernkompetenz, ebenso wie das Anfreunden mit den hatscherten Aspekten des Menschseins. Dieser Zugang kennzeichnet ihre Arbeit als Yogalehrerin ebenso wie ihren Umgang mit studentischen Schreibprojekten.

Wenn sie nicht gerade an der Uni unterrichtet oder sich Orakelsprüche einfallen lässt, mit denen sie Schaufenster pflastert, verfasst sie Bücher und Artikel (z.B. „Om, Oida! Yoga ohne Maskerade“, Blog: evakarel.at). Mit glühenden Ohren zieht sie ihre zwei Kinder groß, führt den Hund spazieren, krault ihre beiden Katzen, hält Yogakurse und pinselt Menschen auf Leinwand.  Ursprünglich stammt sie aus Waidhofen/Ybbs in der niederösterreichischen Pampa.


[1] Oida – Das Wörtchen Oida infiltriert den Wienerischen Sprachgebrauch von vorn bis hinten und kann – je nach Betonung und Situation – so gut wie alles bedeuten. Oida kann Erstaunen, Frustration, Vertrautheit, Ironie, Begeisterung, Unverständnis, Belustigung, Ungeduld, Gleichgültigkeit, Bestürzung, Genugtuung, Verwirrung, Vertrautheit, Freude, Unsicherheit und Dankbarkeit meinen.

[2] bist du deppert – Betonung, Ausdruck des Erstaunens

[3] hudln – sich beeilen, stümperhaft pfuschen. Nicht zu verwechseln mit „tummeln“, wo sich zwar ebenfalls beeilt wird, aber das Stümperhafte entfällt.

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Profilbild Bettina Kapfer

Stress reduzieren, Resilienz stärken und Ziele erreichen – das sind die Themen, bei denen ich dich unterstützen möchte – und über die ich auch sonst leidenschaftlich gerne spreche und schreibe.

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In diesem Sinne: Viel Spaß mit dem ZuRechtPsychologie Hirnfutter, 

Bettina

Gründerin ZuRechtPsychologie

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